Sehr geehrte Bundesregierung,

unser Land steht aktuell vor immensen Herausforderungen. In dieser Zeit kommt es darauf an, dass wir alle an einem Strang ziehen und alle Ressourcen nutzen. Es ist nachvollziehbar, dass die krisenhafte politische Gesamtlage unserer Zeit dabei eine Anpassung politischer Prioritäten erfordert. Jedoch können wir es uns unter keinen Umständen leisten, im wichtigen Bereich der Digitalisierung noch weiter zurückzufallen. Uns, die Unternehmen der mittelständischen Digitalwirtschaft, besorgt, dass über ein Jahr nach der Bundestagswahl und knapp 100 Tage nach der Verabschiedung der Digitalstrategie der erhoffte digitalpolitische Aufbruch noch immer ausgeblieben ist.

Im Kern sehen wir in diesem Kontext folgende drei Entwicklungen besonders kritisch:

Die digitale Transformation hat erstens noch immer nicht die politische Priorität, die sie benötigt. Verstärkt wird dieses Problem durch die weiterhin auf viele Ressorts verteilten Zuständigkeiten für digitalpolitische Projekte. Die Digitalisierung darf aber nicht länger ein Add-on sein. Sie ist vielmehr Grundvoraussetzung dafür, in einer umfassend digitalisierten Welt ein hohes Wohlstandsniveau wahren zu können und Teilhabe zu ermöglichen. Zudem werden zentrale, gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie der Schutz des Klimas und die Umsetzung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft ohne eine erfolgreiche digitale Transformation schlicht nicht möglich sein.

Die geringe Priorisierung spiegelt sich zweitens an der auch weiterhin fehlenden Bereitstellung des angekündigten Digitalbudgets wider, das für zentrale Projekte der Digitalstrategie vorgesehen war. Dessen Streichung aus dem Haushalt für 2023 halten wir für sehr bedenklich. Denn ohne vollständige Finanzierung für Vorhaben etwa im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung oder Schlüsseltechnologien sinkt die Umsetzungswahrscheinlichkeit der Digitalstrategie. So stellt auch die renommierte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem aktuellen Politikbrief fest: Das Versprechen, „den umfangreichen Zielkatalog im Wesentlichen bis zum Ende der Legislatur, also bis 2025, umzusetzen, wird damit uneinlösbar.“

Gleichzeitig nehmen drittens wachsende Abhängigkeiten von digitalen Technologien insbesondere aus China und den USA ein besorgniserregendes Ausmaß an. Dabei handelt es sich nicht um eine diffuse Wahrnehmung, sondern um eine messbare Entwicklung. So bescheinigt der Digitale Dependenz Index (DDI), der den Grad der Abhängigkeit bei Software, Hardware und Eigentumsrechten erfasst, Deutschland eine hohe Verwundbarkeit. Über 80 Prozent der Unternehmen fühlen sich bereits abhängig von nicht-europäischen Technologien. Von solch hohen Dependenzen gehen, wie wir bereits im Fall der Energieversorgung lernen mussten, konkrete Gefahren für unsere politische Selbstbestimmung aus. Sie dürfen deshalb nicht den Punkt erreichen, an dem sie unumkehrbar werden.

Diese Entwicklungen sind alarmierend. Die Wertschöpfung der Zukunft wird zu einem überwältigenden Teil im digitalen Raum stattfinden. Gelingt es Deutschland und Europa nicht, im Bereich der zunehmend digital transformierenden Geschäftsmodelle global wettbewerbsfähig zu bleiben, werden wir unser Wohlstandsniveau zwangsläufig und absehbar verlieren. Die digitale Souveränität, also unsere Fähigkeit, die digitale Transformation selbstbestimmt zu gestalten, darf deshalb unter keinen Umständen verloren gehen. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die Bundesregierung in ihrer Digitalstrategie die Stärkung der digitalen Souveränität zum Leitmotiv erhoben hat. Um dem auch Rechnung zu tragen, ist dringend ein Umdenken erforderlich. Um den digitalen Aufbruch zeitnah zu realisieren, bitten wir Sie eindringlich um die Umsetzung folgender konkreter Weichenstellungen:

Deutschland darf im Digitalen nicht zu einer reinen Anwendungs-Volkswirtschaft werden. Die Entstehung digitaler, datenbasierter Geschäftsmodelle und Innovationen made in Germany bzw. made in Europe muss deshalb klar priorisiert werden. Das ist Voraussetzung für den Abbau einseitiger Abhängigkeiten und für die Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit in naher Zukunft. Entscheidend ist dafür die Erkenntnis, dass unsere Digitalwirtschaft durch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) geprägt ist. Leider wird der Mittelstand allzu oft allein auf der Nachfrageseite der Digitalisierung verortet. Dabei sind es IT-KMU, darunter zahlreiche Scale-Ups aus dem IT-Mittelstand, welche die meisten Arbeitsplätze der Digitalwirtschaft Deutschlands stellen und den stärksten Innovationsmotor im hiesigen Digitalsektor bilden. Sie können insbesondere im B2B- und B2G-Bereich entscheidend zu einer souveränen Digitalisierung beitragen.

Um den Aufbruch zu schaffen, ist über das Digitalbudget hinaus eine umfassende Mobilisierung von privatem und öffentlichen Kapital erforderlich. Dazu zählt auch ein verbesserter Zugang zu Wachstumskapital, z.B. durch einfachere Börsengänge. Diese stellen vor allem eine Hürde für KMU dar. Eine Vereinfachung – etwa im Rahmen des Zukunftsfinanzierungsgesetzes – würde folglich einen erheblichen Teil der Digitalwirtschaft beflügeln.

Ein weiterer beachtlicher Hebel liegt zudem im Vergaberecht. Der Bund ist der größte IT-Einkäufer in Deutschland. Gleichzeitig berührt die Beschaffung von IT-Leistungen für die öffentliche Verwaltung einen höchstsensiblen Bereich. Deshalb muss die Wahrung der digitalen Souveränität künftig ein notwendiges Kriterium für die Beschaffung digitaler Produkte und Dienstleitungen durch den Staat werden. Die staatliche Auftragsvergabe – ganz gleich, ob im Bereich Software, Hardware oder Services – muss bei vergleichbarem Leistungsportfolio an denjenigen Anbieter erfolgen, der darüber hinaus auch die Einhaltung europäischer Standards, etwa in Bezug auf Datenschutz, gewährleistet ebenso wie die wirksame Durchsetzbarkeit europäischen Rechts. So werden Vertrauen, Sicherheit und Handlungsfreiheit langfristig gewahrt, Abhängigkeiten reduziert und die digitale Souveränität gestärkt.

Sehr geehrte Bundesregierung, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren! Lassen Sie uns gemeinsam die digitale Aufholjagd starten. Sie können sich der Unterstützung der mittelständischen Digitalwirtschaft dabei sicher sein.

Gezeichnet

Der Vorstand:

Dr. Oliver Grün

Martin Hubschneider

Nele Kammlott

Frank Karlitschek